Wer heute als Verkäufer im Außendienst für mittelständische und große Unter-nehmen tätig ist, der spürt bereits seit langem die Veränderung und weiß, wie intensiv die Digitalisierung bereits auch in diesem Segment Einzug gehalten hat. Was für Auswirkungen hat diese Entwicklung auf die klassische Handelsvertretung? Wird es sie in Zukunft noch geben?

Das Stichwort lautet „Systemvertrieb“. Unter dieser Überschrift gilt es so viel wie möglich für alle Beteiligten einheitlich zu systematisieren. Sämtliche Abläufe und Informationen werden so effizient wie möglich organisiert. Der Pionier auf diesem Gebiet war zweifellos Reinhold Würth. Der im April 1935 im schwäbischen Öhringen geborene Unternehmer hat dieses System erstmalig eingeführt und perfektioniert. Herr Würth begann zunächst mit einem Handelsunternehmen für Schrauben, später für Befestigungs- und Montagesysteme und gehört heute mit 75.000 Mitarbeitern, davon circa 50.000 Außendienstmitarbeiter, zu den erfolgreichsten Unternehmern in der Welt. Wie ist ihm das gelungen?

Im ersten Schritt hatte er erst einige wenige Verkaufsgebiete, die man grob nach Himmelsrichtigen einteilen konnte. Also, Norden, Süden, Osten und Westen. Diese Gebiete wurden geteilt in Bundesländer, diese in Postleitzahlengebiete, diese wiederum nach Städten und Gemeinden. So lange, bis sie nicht mehr teilbar waren. Danach hat er die Gebiete nach Branchen aufgeteilt. Zum Beispiel wurde das Gebiet Hamburg wiederum geteilt nach Fachgebieten. Es wurden Außendienstmitarbeiter eingestellt die zuständig waren nur für Dachdecker, andere für Installateure und wiederum andere nur für KFZ-Betriebe.

Natürlich hat jedes Mal, wenn ein Gebiet geteilt wurde, der entsprechende Außendienstmitarbeiter (ADM) seinen Unmut kund getan – keine Frage. Jedoch, die Folge war und ist, die ADMs immer erfolgreicher, weil sie immer effizienter wurden.

Der Grundstein für den heutigen Systemvertrieb war gelegt. Viele große Unternehmen sind diesem Beispiel gefolgt. Von Schnell-Restaurantketten bis zur Automobilindustrie. Wer in so einem System arbeitet und einigermaßen diszipliniert ist, der kann gar nicht anders als erfolgreich sein. Ein Scheitern ist quasi ausgeschlossen.

Durch die Digitalisierung wird dieses System weiter verfeinert. Heute gibt es bereits schon Call-Center, die Unternehmen und Dienstleistungen bei potentiellen Kunden vorstellen, Termine vereinbaren und all diese Informationen in der Nacht auf die Navigationssysteme der ADMs schicken. Sobald der ADM am Morgen sein Auto anlässt und sein Navigationssystem einschaltet, erscheinen sämtliche Informationen auf seinem Display und er fährt zum ersten Kunden. Nach diesem Termin, erfährt er von seinem Navi den zweiten Termin und so weiter. Am Abend tippt der ADM alle Informationen aus den Gesprächen in seinen Laptop und schickt die Daten zur Zentrale und die nächsten Schritte werden vorbereitet bzw. eingeleitet. Das alles ist heute schon für viele Unternehmen und deren ADM Standard – nichts aufregendes mehr.

In Zukunft werden Online-Marketingaktivitäten sofort digital ausgewertet und den ADMs zugespielt, Cross- und Up-Selling Vorschläge bereitgestellt und dem ADM übermittelt. Der gesamte Vertrieb ist vernetzt und alle Informationen stehen sofort allen Beteiligten zur Verfügung.

Nun kann man so ein System natürlich kritisch bewerten und behaupten: das ist die totale Kontrolle – mag sein! Allerdings, es ist ausgesprochen erfolgreich, für das Unternehmen und den Außendienst.

Hat nun die klassische Handelsvertretung in so einer digitalisierten Welt überhaupt noch eine Zukunft?

Bevor wir diese Frage letztlich beantworten gilt es zunächst die Unterschiede zu zeigen.

Das oben dargestellte System ist einerseits sehr erfolgreich und maximal effektiv, andererseits, gerade zu Beginn, auch sehr Kostenintensiv. Es reicht eben nicht mehr nur einen Außendienstmitarbeiter einzustellen und ihm ein Auto zu geben, sondern das Auto, der Laptop, das Handy müssen auf dem neuesten Stand und alles muss miteinander vernetzt sein. Sollte nun ein Unternehmen gerade am Anfang stehen und so ein System aufbauen wollen, dann wird es nicht reichen zu sagen, ich stelle erst einmal vier ADMs ein für die vier Himmelsrichtungen. So etwas wäre eher kontraproduktiv. Man sollte also von Beginn an ein relativ kleines Gebietsnetz haben und das können sich gerade kleine und mittelständische Unternehmen kaum leisten.

Die Alternative sind Handelsvertretungen. Hier muss man jedoch wissen, sie lassen sich nur schwer bis gar nicht führen. Handelsvertretungen sind und bleiben eigenständische Unternehmer und sie werden immer auch für andere Unternehmen tätig sein. Dies hat zur Folge, dass es Tage geben wird, an denen sie für das eigene Unternehmen wenig bis gar nicht tätig sind und, man kann sie nicht Freitags um drei Uhr anrufen um zu fragen, wie die letzte Woche gelaufen und was für die kommende Woche geplant ist. Wobei – natürlich, kann man sie anrufen und mit ihnen über die Woche sprechen. Nur im Sinne einer Kontrollabfrage wird es dauerhaft nicht funktionieren.

Die Aussage, dass der Vertrieb über Handelsvertretungen zunächst gar kein Geld kostet ist betriebswirtschaftlich natürlich ebenfalls falsch. Die Marketingaktivitäten müssen natürlich von dem Unternehmen geleistet werden. Früher waren es die Kosten für Anzeigen und Kataloge, heute für das Onlinemarketing. Darüber hinaus braucht man zumindest einen – von mir aus – Vertriebsleiter, der das HV-Netzwerk zusammenhält und mit ihnen aktiv – kooperativ – arbeitet. Selbstverständlich kann dies auch bei kleinen Unternehmen der Unternehmer / Inhaber persönlich machen. Dies wäre jedoch eher unsinnig. Ein Unternehmer kann entweder sein Unternehmen führen oder draußen tätig sein. Beides geht nicht. Darüber hinaus muss ein Vertriebsleiter auch die persönlichen Kontakte zu den Großkunden / Ketten / Schlüsselkunden halten und die Konditionsvereinbarungen treffen – die Verhandlungen führen. Dies kann ein Handelsvertreter auf keinem Fall, schon alleine aus juristischen Gründen nicht.

Was natürlich zunächst entfällt sind die Vertriebskosten. Es werden nur Provisionen gezahlt, wenn auch Umsätze getätigt wurden. Das heißt, die hohen Fixkosten sind im Vorfeld für das Unternehmen nicht vorhanden. Dies ist ein großer Vorteil.

Wollen Unternehmen und Handelsvertretungen auch in der Zukunft intensiv zusammenarbeiten wollen, dann wird es eben nicht mehr reichen, dass ein Handelsvertreter einen Katalog bei einem potentiellen Interessenten abgibt und sechs Wochen später einmal wieder vorbei schaut, um zu fragen ob es möglicherweise Interesse an den Produkten gibt.

In der Zukunft wird das Unternehmen aktiv Online-Marketing betreiben müssen und dasselbe gilt auch für die Handelsvertretungen. Beide Aktivitäten müssen miteinander verknüpft sein und die Informationen müssen sofort ausgewertet und aktiv bearbeitet werden – sowohl online, wie offline.

Für den Fall, dass Handelsvertretungen sowie kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs) bereit sind, auf dem Gebiet der Digitalisierung sich jeweils auf den aktuellen Stand zu bringen und die Prozesse miteinander zu verbinden und wenn darüber hinaus ein Vertriebsleiter verantwortlich die Fäden in der Hand hält, das interne Netzwerk führt und die externen Kontakte pflegt, dann wird es dieses Vertriebsmodell auch weiterhin in der Zukunft geben und erfolgreich am Markt agieren.

Axel Dickschat