Vor einigen Tagen hatte ich ein interessantes Gespräch mit einer Klienten über das Thema „Selbstwertgefühl“ und hier kam die Frage auf: welche Faktoren beeinflussen das Selbstwertgefühl positiv und welche negativ?

Das ist spannend!

Zu den positiven Faktoren gehören sicher: die Selbstliebe, die Anerkennung und der Respekt sich selber gegenüber. Sich so zu akzeptieren, wie man ist. Darüber hinaus spielen natürlich Erfolg (in welcher Form auch immer) eine entscheidende Rolle, das familiäre, gesellschaftliche und berufliche Umfeld, sowie die Fähigkeit, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind und nicht alles und jedes zu benennen und zu kommentieren.

Die negativen Faktoren bilden zunächst das Gegenteil von dem, was oben gesagt wurde. Also, die Selbstzweifel, die Minderwertigkeitskomplexe, die Ablehnung, der Misserfolg und natürlich das Gefühl, sich schwach und hilflos in einer – subjektiven gesehen – Welt des Hasses und der Gewalt zu befinden. Diese Dinge sind sicher klar und bedürfen keiner weiteren Erläuterung.

Interessant ist aber ein weiterer Aspekt, der in diesem Zusammenhang immer wieder eine große Bedeutung hat. Das sind „Peinlichkeiten“. Davor fürchten sich sehr viele Menschen ganz besonders.

Demnach schauen wir uns dieses Thema einmal etwas genauer an.

Zunächst einmal grundsätzlich die Frage: was sind eigentlich „Peinlichkeiten“. Es fällt auf, dass in diesem Wort der Begriff „Pein“, also: Sühne, Buße, Strafe, Qual steckt. Dies sind schon einmal alles Wörter, die negativ belastet sind. Per Definition ist letztlich eine Peinlichkeit eine ganz normale Situation, die in einer anderen Umgebung und einem anderen Umfeld unangenehm, also peinlich ist.

Wir haben uns sehr lange auf eine Präsentation vorbereitet. Wir haben alle Daten, Fakten und Zahlen im Kopf und dann, hängt sich der Rechner auf oder der Beamter funktioniert nicht – und nun? Nicht schlimm – es ist, wie es ist. So etwas kann immer passieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass der eigene Laptop mit einem fremden Beamer auf Anhieb funktioniert ist wesentlich geringer, als dass es sofort läuft. Wenn die Geräte nicht aufeinander abgestimmt sind, müssen halt erst die richtigen Einstellungen vorgenommen werden. Was ist zu tun? Entweder holt man sich Hilfe und versucht es mit Ruhe und Gelassenheit hin zu bekommen oder, wenn man gut vorbereitet ist, dann geht man über dieses Situation lächelnd hinweg und hält den Vortrag eben frei auch, wenn die Reihenfolge vielleicht nicht genau stimmt.

Als Frau bin ich auf dem Weg zum Podium und stelle beim Aufstehen fest, dass ich eine Laufmasche habe. Nun wird jede Frau, die regelmäßig bzw. oft Feinstrümpfe trägt immer Ersatz in ihrer Handtasche haben. Aber, in diesem Moment, in dem keine Zeit mehr zum Wechseln ist, bleibt ihr nichts anderes übrig, als damit zu leben. Es ist, wie es ist. Jede Frau kennt das und weiß, dass es sich im Alltag nicht vermeiden lässt. Also geht „Frau“ ganz souverän damit um und ignoriert es einfach. Dies betrifft auch die Herren, die vor ihrem Auftritt feststellen, dass auf der Krawatte kurz vorher noch ein Kaffeetropfen sich besonders dekorativ niedergelassen hat. Auch „Mann“ hat sicher eine Ersatzkrawatte in der Tasche oder im Auto. Aber, in so einem Moment, unmittelbar vor dem Auftritt, nützt es einem wenig. in solchen Fällen müssen wir uns klar werden, dass die meisten Menschen es überhaupt nicht merken und wenn, dann beachten Sie es kaum.

Wir glauben immer, dass uns andere Menschen ununterbrochen beobachten. Das stimmt nicht. In der Regel ist jeder mit sich mehr beschäftigt als mit anderen. Und, wenn eine/r die verlaufene Wimperntusche oder die Schuppen auf dem Sakko bemerkt dann weiß sie oder er; das passiert mir auch.

Interessanter ist es für den Betroffenen, wie für den Beobachter, wenn jemand von dem WC kommt und der Reisverschluss ist noch auf, den richtigen Takt zu finden es zu sagen bzw. es zu beheben. Dies ist beispielsweise Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt einmal passiert. Er kam von dem WC, seine Hose war auf und ein kleiner Zipfel seines Oberhemdes schaute heraus. Dies war natürlich besonders auffällig, weil es bei einem schwarzen Anzug und einem weißen Hemd besonders gut zu erkennen war. Das Bild, von einem Fotografen aufgenommen, ging um die Welt und, Helmut Schmidt hat es nie kommentiert. Darauf angesprochen hat er lediglich in sich ein wenig geschmunzelt.

Ich selber habe einmal, bei einer Veranstaltung, eine Frau gesehen, die vom WC kam und sie hatte sich den Rock in die Strumpfhose gesteckt – passiert. Nur, wer wollte es ihr sagen? Ich bin zu einer anderen Frau gegangen, die in der Nähe stand, erzählte es ihr leise und sie ging dann zur betreffenden Frau und es wurde diskret korrigiert.

Wie kann überhaupt so etwas passieren?

Wenn wir besonders konzentriert, gedankenabwesend, problembelastet sind und dann ganz normale Alltags- bzw. Routinedinge tun, dann sind diese Vorgänge so eingespielt und unterliegen einer so starken Gewohnheit, dass wir diesem Vorgang in diesem Moment keine Aufmerksamkeit und Beachtung schenken. Von Albert Einstein erzählt man sich folgende Geschichte. Herr Einstein kam in der Uni von der Mensa, befand sich auf dem Flur in Richtung Hörsaal. Er blieb einen Moment stehen, überlegte und fragte einen Studenten: wo geht es hier zur Mensa? Darauf antwortete der Student: aber Herr Professor, sie kommen gerade aus der Mensa! Albert Einstein antwortete: ach so!

Peinlich wird eine Situation erste immer dann, wenn wir uns „erwischt“ fühlen und versuchen, es irgendwie zu rechtfertigen oder offensichtlich zeigen, dass wir etwas vertuschen müssen oder wollen. Wir nehmen diese Situation persönlich, weil wir uns erwischt fühlen. Wir gehen in die Abwehrposition oder verhalten uns, wie ein Kind, das ganz konzentriert ein Buch liest oder eine interessante Sendung schaut und in der Nase bohrt. Wir werden rot, fangen an zu zittern oder bekommen Schweißausbrüche.

Gehen wir dagegen ganz souverän mit solchen Situationen um, und lachen noch mit den anderen darüber, dann ist es in der Regel schnell vergessen.

Meistens hat eine Peinlichkeit mehr etwas mit dem Betrachter, als mit dem Betroffenen zu tun.

Wir kennen das; wir sitzen in einem besonders feinen und edlen Restaurante. Wir essen mit unserem Partner und unterhalten uns, wie die anderen Gäste auch, leiste – eher flüsternd. Neben uns sitzt ein Asiate und schlürft laut seine Suppe. Mit so einer Situation können wir nur ganz schwer umgehen. Wir müssen immer wieder hinschauen und, am liebsten möchten wir den Kellner holen und ihn bitten, dem Gast doch zu sagen, dass er seine Suppe leise zu sich nehmen soll. Dies ist unser empfinden – rein unser Problem. Dem Asiaten selber ist es überhaupt nicht peinlich. Ganz im Gegenteil, in seinem Kulturkreis gilt schlürfen als Zeichen dafür, dass es besonders gut schmeckt.

Genauso ist es, wenn neben uns jemand sitzt oder sich befindet, der relativ gut hörbar rülpst oder furzt. Auch hier sind wir sofort dabei, die Peinlichkeit dem anderen gegenüber kund zu tun. Dies ist nicht nur menschlich, sondern eigentlich ganz normal. Allerdings gebe ich zu, dass unsere heutigen Lebensmittel so sehr künstlich hergestellt sind und kaum noch etwas Natürliches enthalten, dass der Mensch weder rülpsen noch furzen kann.

Peinlichkeiten haben immer auch etwas mit Achtsamkeit und Respekt zu tun.

Natürlich kann ich als Beobachter jemanden auf etwas diskret hinweisen oder ihn gar meine Hilfe anbieten, ohne dass andere davon etwas mitbekommen. Ich kann ihn oder sie natürlich auch bloß stellen und, wie heute über die sozialen Medien gerne gemacht, in der Öffentlichkeit lächerlich machen.

Natürlich kann ich als Betroffene/r über die Situation lachen und, wenn ich cool drauf bin – mit einem passenden Spruch begleiten. Ich kann aber auch vor Scharm erröten, unsicher werden und, der Tag bzw. der Abend oder die Nacht ist gelaufen.

Fazit; Die Dinge sind, wie sie sind. Man kann nicht alle Eventualitäten im Leben im Vorhinein planen und ausräumen. Es gibt immer Situationen, mit denen man vorher nicht gerechnet hat. Das Beste ist, man nimmt die Dinge, wie sie sind – lächelt und, macht weiter.

Axel Dickschat